Über das Wesen von Council und Encounter

Liebe Freunde des Männerhortes, ich möchte heute auf ein paar Kernsätze über die Kreisarbeit eingehen, denn ich erlebe oft, wie die sogenannten „Council Absichten“ und „Encounter-Regeln“ in vielen Kreisen und auch in Encountergruppen „zum Weichspülen“, zu falscher Diplomatie und pseudogewaltfreiem Sprechen missinterpretiert werden. Wenn dies geschieht, dann erlebe ich auch den Verlust des Momentums und der sich ausbildenden Gestalt. Es ist dann meist eine „fade“ Runde.

So lauten zwei Kernsätze aus den Beschreibungen über das Wesen des Councils:

  • Bei Council geht es um Beziehung.
  • Was uns unbewusst bleibt, hält uns gefangen.

Diese zwei Aspekte entsprechen demselben Wesensinhalt einer Encounter-Gruppe. In beiden Formaten geht es insbesondere um die wahrhaftige Begegnung und um die wunderbare Chance sich in der Begegnung selbst auf die Spur zu kommen. Jeder von uns hat sogenannte „blinde Flecken“. In manchen Gruppierungen und Kontexten werden diese blinden Flecken auch gerne als „Schatten“ bezeichnet.

Diese persönlichen blinden Flecken heißen so, weil sie uns unbewusst sind und wir sie daher auch nicht sehen können. Erst wenn uns jemand liebevoll einen Spiegel vorhält, erkenne ich mich selbst. Wenn ich also in ein Council oder in eine Encountergruppe gehe, dann sollte ich eine innere Bereitschaft mitbringen, mich „nackt“ auch vor diesen Spiegel stellen zu wollen. Nur so kann ich mich ganz sehen und erkennen, wer ich wirklich bin. Wenn ich mich an solchen Orten der Begegnung nur „im toten Winkel“ des Spiegels zu verstecken suche dann entdecke ich auch nichts von mir selbst. Und so heißt es in den Rückmeldungen solcher Kreise und Gruppen dann meist auch sehr diplomatisch „Ich habe ganz viel mitgenommen.“ Doch im Raum ist förmlich greifbar, dass dies nur eine daher gesagte Floskel ist.

Der eigene Schatten ist nur in der Begegnung erkennbar; sonst wäre es nicht der Schatten! („Der Mensch wir am DU zu ICH.“ M. Buber) Und der Angst zu erkennen wer ich im jetzigen Moment gerade wirklich bin, mich also im Spiegel zu betrachten, weichen wir nur allzu gerne aus.

Ich musste schmunzeln, als ich dieses Wesens-Thema in einem kleinen Männerkreis vorgestellt habe. Männer denen ich bis dahin beigemessen habe, dass sie um die Kernsätze und die Essenz dessen, worum es wirklich geht, wissen. Doch dann begegnete mir im Spiegel einfach nur die pure Angst. Nicht das diese Männer von ihrer Angst sprachen. Stattdessen wurden Interpretationen über „therapeutische Interventionen“ in den Raum geschoben, auf vermeintlich eindeutige Regeln und was „richtiges Council sei“ verwiesen etc. Es wurde sogar eine Besprechung anberaumt um die „Richtigkeit“ meiner Aussagen in Frage zu stellen.

Da wurde mir schlagartig klar, dass Spiegel gleichzeitig immer wechselseitig vorhanden sind. Mir begegnete im Spiegel der Reaktion dieser Männer meine eigene latente Angst, meine Aussagen und damit meine persönliche Wahrheit könnte „unwahr“ sein oder die Wahrheit der Anderen könnte „wahrer“ sein als meine eigene.          
Ich musste sehr in mich gehen um zu erspüren, dass meine evidenzbasierte Erfahrung meiner persönlichen Wahrheit entspricht und ich dieser Wahrheit weiter folgen möchte. Ja, ich wäre sogar bereit die Beziehungen in diesem Kreis dafür zu riskieren.

Und gleichwohl erkannte ich, dass ich mit meiner persönlichen Wahrheit eine unbeabsichtigte Konfrontation auf die bestehende Wahrheit der anderen Männer dieses Kreises darstelle. Ich werde zum Spiegel unbewusster, vielleicht ausgeblendeter, vermiedener, oder abgelehnter Anteile dieser Männer. Nicht leicht für mich hier als Mann zu seiner Wahrheit zu stehen.

Warum erzähle ich dies? Nun, es ist eine ganz persönliche Geschichte. Kein Märchen, keine Erzählung über andere; sondern eine ganz intime Geschichte meines Lebens und Er-Lebens. Um diese Art von persönlichen Geschichten geht es, wenn es im Encounter um die Regel „Sei aufrichtig dir selbst und allen anderen gegenüber.“ geht und es im Council „Sprich von Herzen“ heißt.

In einem meiner letzten Council-Kreise haben wir genau über das Verständnis dieser Regel gesprochen. Als wir dies taten war es eine intensive, emotionale Runde und viele von uns waren von dieser Begegnung betroffen. Das hat sich sehr lebendig angefühlt, denn wenn ich mich betroffen fühle, wenn ich beispielsweise einen Knoten im Bauch habe, ich gepresst atme, schwitzige Hände bekomme oder im Sessel versinke, dann heißt es ja es betrifft mich! Meine Körperintelligenz lügt nie. Das was gerade passiert hat etwas mit mir zu tun und damit besteht die große Chance ein Stück von dem, der ich wirklich bin kennen zu lernen. Ich kann mich mit der Wirklichkeit, d.h. dem Leben, wieder mehr verbinden. Welche ein wunderbares Geschenk.

Doch wie ich bereits einleitend geschrieben habe ist es ein schmaler Grat zwischen der wahrhaftigen Erzählung einer persönlichen Geschichte und einem belanglosen „Storytelling“. Ich definiere der besseren Verständlichkeit und Unterscheidung wegen diese Begriffe so wie hier und verwende diese hier auch ganz analog; wohlweislich dass diese Begriffe unterschiedlich aufgefasst werden können. Mein Unterscheidungskriterium dabei ist, dass ich, wenn es eine wirkliche Geschichte ist, die darin enthaltene Ladung und Energie verspüre. Diese Energie und die Verbindung einer Geschichte zu ihrem Erzähler kann ich im Hier und Jetzt der Erzählung spüren. Doch wenn ich es als Sprechender oder Zuhörender im Sprechen nicht in meinem Körper spüre, dann ist es für mich nicht echt, dann ist es nur ein weiterer Versuch „die Welt zu manipulieren“.

Wenn ich also Teilnehmer in meinen Kreisen anleite „von Herzen zu sprechen“, dann meine ich nicht, dass sich derjenige in irgendeiner Weise „formal korrekt“ mitteilen soll. Ich eröffne damit einen Raum für Wahrhaftigkeit. Und wenn es der inneren Wahrheit des Teilnehmers entspricht, dann darf er laut, ärgerlich, traurig oder empfindsam sein. Er darf seine Stimme erheben, weinen, brüllen oder lachen. Alles ist willkommen, solange es wahrhaftig ist.

Fritz Perls unterbrach Teilnehmende in seinen Encounter-Kreisen oft mit dem Satz „Don’t waste my time telling me stories.“ – Verschwende nicht meine Zeit indem Du mir Geschichten (über etwas) erzählst, wenn er den Eindruck hatte, dass Teilnehmende nur Geschichten ohne Substanz, d.h. ohne persönliche Betroffenheit oder persönlichen Bezug, erzählen.  Und auch mir haben sich schon die Fußnägel aufgerollt in Councils in denen es als nicht opportun galt „von Herzen nachzufragen“. Man erntete schon missbilligende Blicke wenn auf einen Beitrag die Frage folgte „Ich verstehe nicht was Du gerade erzählt hast. Kannst Du es noch mal in 3 Sätzen sagen, was Dich daran bewegt?“ Denn letztendlich ist die von Herzen kommende Nachfrage nichts anderes als ein umformu­lierter Hinweis auf eine weitere Regel im Council, welche da heißt „Sprich die Essenz.“ und „Sprich aus, was Dir, dem Kreis und dem was größer ist als wir alle zusammen, dienlich ist.“

Ich persönlich halte es aufgrund evidenzbasierter Erfahrung für ebenso wesentlich, dass wir uns erlauben uns einen wahrhaftigen und wahrnehmungsbasierten Spiegel (d.h. keine Interpretationen) vor zu halten. So habe ich die Erfahrung machen dürfen, dass ein Spiegel wie „Ich habe gesehen wie Dein Körper gezuckt hat als Du uns dieses Erlebnis mit tonloser Stimme berichtet hast. Was war das?“ oder „Du bist in der letzten viertel Stunde immer tiefer in Deinem Stuhl versunken, was ist gerade bei Dir?“ als die aus dem eigenen Herzen und der persönlichen Wahrnehmung heraus gesprochene Wahrheit des Momentes, sehr hilfreich ist einen Kreis wesentlicher und wahrhaftiger werden zu lassen.

An diese Art wahrhaftiger Begegnung taste ich mich in jedem Council und in jedem (M)Encounter erneut heran. Für mich ist es ist erhebend und bereichernd wenn dies gelingt und es macht Bescheiden wenn ich erkenne, dass diese Praxis trotz des simplen Satzes „Sprich von Herzen“ beileibe nicht simpel umzusetzen ist. Es bedarf des Vertrauens.

Lindlar, 2021-05-01

Antar Vimukto – Stefan – Brombach